Analyse | Ist Alexander Albon bereit für einen Schritt nach oben?
- Ludo van Denderen
Alexander Albon gehört zweifelsohne zu den herausragenden Fahrern der ersten Saisonhälfte. Der Thailänder hat mit seinem Williams bereits 11 Punkte geholt und liegt damit auf Platz 13 der Meisterschaft. Seine Leistung hat auch die Konkurrenz aufhorchen lassen und in den Medien wird über einen Wechsel zu einem besseren Team für Albon spekuliert. Ist er dazu bereit?
Alex Albon war nie ein Supertalent. In dem Jahr, als George Russell den Formel-2-Titel holte und Lando Norris Zweiter wurde, war Albon die Nummer drei in der Meisterschaft (übrigens vor Nyck de Vries). Vier Siege in der Saison 2018 waren eine beachtliche Zahl, doch die Formel-1-Teams waren nicht auf den in London geborenen Albon scharf. Während Russell und Norris den Sprung in die Formel 1 schafften (Williams bzw. McLaren ), sah es so aus, als würde Albon seine Rennkarriere in der Formel E fortsetzen. Er hatte sogar schon einen Vertrag mit Nissan e.dams unterzeichnet. Doch plötzlich war da Helmut Marko.
Marko trat an Albon heran.
Der Berater von Red Bull Racing und - damals noch - Toro Rosso brauchte dringend einen Fahrer für das letztgenannte Team, nachdem Brendon Hartley kurz zuvor auf seinen Marko's zur Seite gesprungen war. Im November 2018 gab es immer noch wenige gute Fahrer auf dem Markt, und so landete er notgedrungen bei Albon. Letzterer war übrigens einmal kurz Mitglied des Red Bull Junior Teams gewesen, nur um - wie so viele Talente - von den Österreichern schnell wieder beiseite geschoben zu werden.
Albon schlug sich in der ersten Hälfte der Saison bei Toro Rosso sehr gut. Nicht übermäßig top, aber solide. Auf jeden Fall reichten seine Leistungen für Marko und Christian Horner aus, um ihn gleich in seiner ersten Saison nach der Sommerpause zu Red Bull Racing zu versetzen. Der Grund für diesen Wechsel war allerdings, dass Red Bull mit Pierre Gasly unzufrieden war und weniger, weil sie dachten, Albon sei bereit für ein Spitzenteam. Wie sich herausstellte, wurde Albon auch von Max Verstappen erdrückt, wie es der Niederländer inzwischen mit jedem Teamkollegen tut.
Die Kritik kam und der unerfahrene Albon wurde dadurch nicht besser. Auch ihm wurde schließlich für seine Dienste gedankt. Nach einem Jahr in der DTM bekam Albon jedoch eine zweite Chance in der Formel 1. Befreit von jeglichem Druck und zweifellos aus früheren Erfahrungen lernend, erweist er sich seit anderthalb Saisons als absoluter Anführer von Williams.
Sargeant kein Bezugspunkt für Albon
Nun, sein Teamkollege Logan Sargeant ist keineswegs ein guter Referenzrahmen. Der Amerikaner wurde in dieser Saison von Albon völlig deklassiert, aber es sollte auch angemerkt werden, dass Sargeant - im Moment - einfach nicht das Niveau für die F1 hat. Der Unterschied im Qualifying zwischen den beiden ist atemberaubend: Bis zu 0,480 Sekunden ist Albon im Durchschnitt schneller als der Rookie. Bei allen 12 Grand Prix startete Albon vor Sargeant.
Viel interessanter ist es zu sehen, wie Albons Leistung im Vergleich zu seinen Konkurrenten ist. In 12 Grands Prix im Jahr 2023 wird der Thailänder im Durchschnitt von Platz 12,9 starten. Und das mit einem Auto, das bei weitem nicht als das beste in der Startaufstellung gilt, obwohl der Geradeauslauf des Wagens in Ordnung ist. Besonders auf Hochgeschwindigkeitskursen glänzt der Williams, zumindest in Albons Händen, auf dieser einen schnellen Runde.
Während der Rennen zeigen sich die Schwächen des Williams häufiger, und trotzdem schaffte es Albon bereits dreimal, in die Punkte zu fahren. Sein siebter Platz in Kanada war spektakulär. Das lag vor allem daran, dass Albon die schnelleren Autos von Esteban Ocon (Alpine) und Lance Stroll (Aston Martin) in seinen Spiegeln hielt. Nicht einen Moment lang gab Albon ihnen die Chance, den Williams zu überholen.
Albon mental gestärkt
Dieser Grand Prix in Montreal hat gezeigt, dass Albon ein kompletter Fahrer geworden ist: Er kann im Qualifying das Maximum aus seinem Auto herausholen (manchmal sogar noch ein bisschen mehr) und auch in den Mann-gegen-Mann-Kämpfen steht Albon seinen Mann. Sogar mit minderwertigem Material. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Frage, ob Albon für einen Aufstieg bereit ist, mit einem klaren Ja beantwortet werden.
Gleichzeitig ist ein Rennen für Williams etwas völlig anderes als für Red Bull Racing oder Mercedes. Natürlich fährt Williams in der Formel 1, trotzdem ist der Druck dort nicht mit dem eines Spitzenteams vergleichbar. Gerade auf der mentalen Ebene ist Albon stärker geworden, verriet er in einem Interview mit GPblog. Albon hat in seiner Karriere viele Rückschläge erlitten, zum Beispiel als Red Bull ihn in die DTM zurückgestuft hat. Aber Albon hat weiter hart gearbeitet und an eine Rückkehr in die Formel 1 geglaubt. Ein schwächeres Rennen bei Williams bringt Albon nicht aus der Bahn. Genauso wenig wie er nach einem guten Ergebnis in Montreal neben seinen Schuhen herläuft.
Eine Rückkehr zu Red Bull Racing?
Angenommen, Red Bull würde ihn wieder an die Seite von Verstappen stellen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Niederländer Albon fast jedes Rennen schlagen würde. Aber wird der Vorsprung strukturell mehr als drei Zehntel betragen (wie der Unterschied zwischen Verstappen und Sergio Perez im Durchschnitt)? Albon hat also in dieser Saison bewiesen, dass er das gesamte ihm zur Verfügung stehende Material optimal nutzt. Wenn er diese Qualität aus seinen Williams-Jahren zu Red Bull mitbringt, wird der Thailänder definitiv in der Nähe von Verstappen bleiben. Außerdem ist Albon nicht der Typ, der sein Auto gleich in der ersten Runde des freien Trainings ins Kiesbett stellt.
Eine Rückkehr zu Red Bull Racing scheint im Moment nicht realistisch. Aber ist Albon weniger wert als Carlos Sainz von Ferrari, der vielleicht zu Audi wechselt? Oder was ist, wenn Lando Norris in einem Jahr McLaren verlässt? Dann wäre Albon sicherlich nicht fehl am Platz. Wenn der Thailänder so weitermacht wie bisher, wird sich diese Chance bei einem besseren Team als Williams sicher ergeben.